Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  
Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 0 Antworten
und wurde 107 mal aufgerufen
 Verschiedenes
Jochen Offline



Beiträge: 4

27.08.2005 19:58
Ergänzung zum FR Artikel Antworten

URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur...ton/?cnt=717396

Männer und Mörder
Der Sozialpsychologe Harald Welzer über sein neues Buch "Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden."

Interview
Harald Welzer, Jahrgang 1958, ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und Forschungsprofessor für Sozialpsychologie an der Universität Witten/Herdecke. Sein neuestes Buch "Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden" ist soeben im S. Fischer Verlag erschienen. Frankfurt 2005. 336 Seiten, gebunden. 19,90 Euro. ISBN 3-10-089431-6.
Frankfurter Rundschau: Herr Welzer, in Ihrem Buch "Täter" gehen Sie auf das Beispiel Babi Yar ein, wo während des Kriegs ein paar hundert Männer in wenigen Tagen 33 000 Menschen töteten. Die Täter, schreiben Sie, konnten ihr Tun in ihr eigenes Lebenskonzept integrieren. Was meinen Sie mit "Lebenskonzept"?

Harald Welzer: Gemeint ist damit, dass man eine Vorstellung von sich selber hat. Zu so einem Lebenskonzept gehört, dass man nicht grundsätzlich schlecht ist und auch von anderen gut angesehen ist. In den Protokollen, die von den Vernehmungen der Täter von Babi Yar existieren, finden sich keine Hinweis darauf, dass es in ihrem Leben einen Bruch, eine Nachdenklichkeit, eine Irritation im Zusammenhang mit diesem Massaker gegeben hat. Ihre Selbstdarstellungen machen vielmehr eine erstaunliche Bruchlosigkeit deutlich, oder psychologisch gesagt: Eine Integriertheit, so als sei gar nichts passiert. Das wirft natürlich Fragen auf und verweist darauf, dass sich das, was sie getan haben, in einen sozialen Referenzrahmen einbauen und sich als alles andere denn als Mord interpretieren ließ. In der Regel verstehen sie selbst ihr Tun als unangenehme Arbeit, die von ihnen auch Opfer verlangt habe. Dann kann man sich selbst als jemanden wahrnehmen, der zwar etwas getan hat, es aber selbst gar nicht tun wollte. Ganz im Gegenteil: Man hat selbst darunter gelitten.

Sie beschreiben ein Phasenmodell für die Zeit des Nationalsozialismus: Für die deutsche Gesellschaft dieser Zeit gibt es die Phasen der Ausgrenzung der Juden, ihrer Entrechtung und schließlich ihrer Ermordung. Korrespondiert dieses Modell mit dem Referenzrahmen?

Grundsätzlich ja, aber Referenzrahmen für das eigene Handeln gibt es immer, weil wir uns stets an dem orientieren, was andere auch tun. Diese Referenzrahmen sind nicht stabil, das zeigen viele historische Beispiele. Das Erschreckende ist, dass diese Veränderungen sehr schnell gehen. Im nationalsozialistischen Deutschland änderte sich der Referenzrahmen, also die Maßstäbe für Gut und Böse, Humanitär und Unmenschlich im Laufe der Jahre. Im Fall konkreter Handlungen wie im Vernichtungskrieg ging das innerhalb weniger Wochen und Monate.

Sie knüpfen an die Arbeiten Götz Alys und Saul Friedländers an, wenn es um den Mentalitätswandel dieses korrumpierbaren Volkes geht. Steht das in einem Gegensatz zu Christopher Brownings Bericht über die "ganz normalen Männer"?

Das steht nicht in einem Gegensatz, aber der Blick ist ein anderer. Die ganz normalen Männer sind in eine Gesellschaft eingebunden, die als Ganze nach unseren Maßstäben immer unnormaler wird. Das Prekäre ist, und an diesem Punkt bin ich mit Browning gar nicht auseinander, dass diese Personen von ihrer politischen Orientierung, ihrer psychischen Verfasstheit und ihrem Sozialisationsumfeld eben gar nichts besonderes darstellen. Sie bewegen sich in Zusammenhängen, die es normal erscheinen lassen, dass man sich zum Töten entscheidet. Die Forschung hat das nicht richtig in den Blick bekommen, weil man stets die Frage stellte: Wie konnten die das tun, und dann richtet sich der Blick auf 1941. Doch die Personen, die von 1941 an Morde begangen haben, hätten 1933 nicht daran gedacht, so etwas tun zu können. Doch zwischen 1933 und 1941 gab es eine Normalisierung im Zusammenhang mit Ausgrenzung und Brutalisierung. In der Gegenwart konnte man etwas ähnliches zuletzt in Jugoslawien beobachten.

Sie weisen darauf hin, dass genozidale Prozesse seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhundert schneller ablaufen als zur Zeit des Nationalsozialismus.Was lässt sich daraus gewinnen?

Es gibt verschiedene Einsichten. Erstens: Wir überschätzen immer wieder die Stabilität gesellschaftlicher Verhältnisse. Es bedarf recht weniger Einflüsse, um stabil erscheinende Situationen zum Kippen zu bringen. Deshalb muss man sich, zweitens, die inneren Dynamiken solcher Entwicklungen ansehen. Die Veränderungen eigener Orientierung laufen oft sehr geschmeidig und überraschend schnell ab. Die historischen Situationen zeigen: Moralische Grundsätze, etwa nicht töten oder nicht stehlen zu dürfen, haben ein ausgesprochen geringes Gewicht gegenüber dem, was man situativ doch tun würde. Der dritte Punkt ist: Die gesamte Täterforschung, also die Frage, warum Männer zu Mördern werden, geht von einem viel zu eindimensionalen Menschenbild aus. Es ist die Vorstellung, dass Menschen ihren Überzeugungen entsprechend handeln. Das tun sie nicht, das tut auch im Alltag niemand.

Interview: Matthias Arning

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 26.08.2005 um 17:04:08 Uhr
Erscheinungsdatum 27.08.2005


 Sprung  
Xobor Forum Software von Xobor.de
Einfach ein Forum erstellen
Datenschutz